"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 12. März 2015

Menschen in der Negativzone


Auszug aus dem Gedächtnisprotokoll


Er war negativ, auf einem dieser Portale im Internet und schrieb die Hälfte seiner Dinge in Großbuchstaben. Ein Up-Link war zu dieser Zeit nicht gegeben. Und es würden Stunden vergehen, bis die Verbindung wieder steht.

Sie war schon bei der Arbeit. Sie brüllte die Kunden an, hielt aber dabei den Mund geschlossen. Sie würde das später mit einem Log-in nachholen. Dabei würde sie sich beschweren, über dies und das, Verachtung ausdrücken gegenüber allen, die nicht ihrer Norm entsprachen, gegen Dicke und besonders gegen die Alten; Leuten, die Gerüche mit sich brachten.

Er kam schon negativ auf die Welt. Die Geburt geriet für alle zur Qual. Nicht nur für die Mutter. Er schrie die Ärztin an und machte klar, daß er nicht einverstanden mit dem Klaps auf den Po und der Welt im Besonderen war. Seitdem trug er die Mundwinkel unten und als Baby schon die Zornesfalte.

Sie fuhr mit dem Bus zurück nach Hause. Sie verschaffte sich Platz auf einem der Sitze und beschimpfte mit den Augen die anderen Fahrgäste. Dicke, besonders die Alten; Leute, die Gerüche mit sich brachten. Sie würde sich später öffentlich darüber beschweren.

Er war dreizehn, als er es zum ersten Mal bemerkte, daß je negativer er war, desto beliebter wurde er. Er würde nie wieder eine Sekunde an einen positiven Gedanken verschwenden, den er zumal nie hatte. Trotzdem gab es immer mehr, bei denen er sich unbeliebt machte.

Sie öffnete die Tür und rief wie üblich. Meckernd über den Tag noch im Hausflur und verschweigend, daß der sich über sie beschwerte, aber niemand ihn nach seiner Meinung fragte. Provokation war für sie alleine, daß es schon Menschen gab.

Er kam aus dem Arbeitszimmer entgegen, fluchte, daß das Internet noch immer nicht klappte und wollte, wenn es ihn nicht, dann wenigstens sie umarmen. Beide standen voreinander. Sie stießen sich ab. Es war ihnen unmöglich, sich zu berühren. 15 Zentimeter trennten sie. Wie bei zwei starken Magneten.

Sie richteten ihr gemeinsames Leben darauf ein. So kam es vor, daß beim Schlafen er sich drehte und sie dadurch aus dem Bett gestoßen wurde. Man besorgte sich Gitterrohre für die Seitenwände, damit das nicht weiter geschah. Sie kochte und wollte ihm das Essen mit dem Teller reichen, er griff danach, sie stießen sich ab, der Teller fiel zu Boden und zersplitterte. Sie stellten Regeln für die Handreiche auf, damit er die Scherben nicht vom Boden aufklauben mußte. Sie gewöhnten sich daran, daß sie sich nicht berühren konnten. Mit der Zeit stieg die Negativzone von 15 auf 30 Zentimeter an. Dann schon auf einen Meter. Sie brauchten eine größere Wohnung.

Er wollte Cola in ein Glas schütten. Bevor die Flasche 15 Zentimeter davor war, fiel das Glas um und die Cola verschüttete sich auf den Couchtisch. Bei ihr begannen die gleichen Symptome. Sie fingen an, auch Dinge abzustoßen.

Sie gingen zu einem Arzt. Der sagte, er könne ihnen nicht helfen. Sie müßten lernen, damit zu leben. „Es gibt Menschen, die sind so negativ, daß sie alles um sich herum abstoßen.“ 50 € für den Rat.

Sie leben jetzt am Rand der Stadt. In getrennten, leeren Zimmern. Unter offenem Dach. Nackt. Die Regierung plant, Nahrung aus der Luft abzuwerfen. Mal sehen, ob es klappt.


Die ersten Versuche verliefen nicht vielversprechend.








*




Montag, 9. März 2015

Zwiesprache




Ich hörte ihm gar nicht mehr zu. Aber er war so süß. Daß ich ihm die schönen Augen machte, die jeder Mann so mochte, um sich besser zu fühlen. Oder wichtig. Oder niedlich. Hihi.

„Feministinnen gehen zum Lachen in den Bunker. Die schließen sich dort ein und feuern aus allen Rohren. Sollte man ihnen sagen, daß der Krieg vorbei ist?“

Ich stützte mein Kinn auf der Hand ab. Den Ellbogen auf dem Restaurant-Tisch. Die Kerze dazwischen ließ meine Augen funkeln. Ich entließ meinen Lippen ein Lächeln.

„Bemerkenswert ist, daß diese weißen Feministinnen nur in weißen Medien bei ihren weißen Filter-Follower-Freundinnen stattfinden, nie in der Lebenswirklichkeit. Oder bei dunkleren Frauen. Oder bei ärmeren Frauen. Oder in Ländern, wo sie ihre Billig-Fashion herhaben. Aber im Traum nicht daran denken, je KFZ-Mechatronikerin zu werden. Auch da kann man Werkstattleiterin werden. Oder Autohaus-Chefin. So gesehen ist ihr Kriegsgebaren mit Bunkermentalität eher ein Counterstrike in einem virtuellen Leben. Ein Ballerspiel um Holding-the-Flag. Und wenn sie diese dann in Händen halten, verteidigen sie die dann um jeden Preis. Ohne zu merken, daß sie nur Pixel auf einem Computer-Bildschirm in Händen halten.“

Ich trank jetzt aus meinem Glas. Ich schluckte so verführerisch, daß er sich ab und zu verhaspelte. Wie cute. Hihihi.

„Was mich und die meisten Menschen abstößt, ist, daß weiße Feministinnen normale Frauen, die selbstbestimmt, selbstbewußt, selbstständig, mündig, emanzipiert und aufgeklärt sind als Dümmerchen darstellen, für die sie ihre Stimme erheben müßten, weil die ja zu dumm und devot seien, das selbst zu tun. Und als dunklere Frau kommst Du nie in deren Zirkel. So sind weiße Feministinnen die wahren Frauenfeinde, frauenfeindlich ohne Ende. Nur hören sie das nicht gerne. Sie hören auch nur das, was sie hören wollen. Selbstkritik ist ihnen fremd. Sie sind so mega-sensibel, aber pissen mit ihrer verbalen Gewalt jeden an und empören sich, wenn ihre Pergamenthaut ein Spritzerchen abbekommt. Alle andere müssen das ja abkönnen. Ich bin ja sensibel, sagen sie dann. Sie sind so prüde und puritanisch, daß Haut schon zu einem Problem wird, wenn sie in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Da reicht schon eine Hand, die eine Cola-Dose in die Kamera hält. Sie sind der Bund Deutscher Mädel des 21. Jahrhunderts und genauso rassistisch religiös. Inklusive Zwangsmitgliedschaft: Wer nicht eintritt, wird geächtet. Man müßte sie eigentlich Islamistische Feministinnen nennen: Sozialer Tod allen Ungläubigen! Als nächstes sprengen sie die Kunst in die Luft, die nicht ihrer Sekte religiös-konform erscheint. Sie fangen mit Malerei an, und dann nehmen sie sich Gedichte vor.“

Ich strich jetzt mit den Fingern über die Tischdecke. Glättete Falten, die nicht vorhanden waren. Ich führte seine Augen mit meinen Fingern. Er blinzelte unkontrolliert. Wie putzig. Hihi.

„Es könnte ja ihre Karriere in den Medien sabotieren. Das muß es ja immer sein: Irgendwas mit Medien. Und ihre eigentliche Motivation, sich in Bewegung zu setzen, enthüllen. So gesehen ist ein Playmate viel ehrlicher. Die haben nie verheimlicht, daß es ihnen nur darum ging, in den Medien zu sein, um ihre Fresse in die Kamera zu halten, um jeden Preis. Weiße Feministinnen wollen dasselbe. Irgendein Buch schreiben und promoten. Vorlesungen halten. Eingeladen werden, von einer Fernsehkamera interviewt werden. Und weiße Follower auf ihren Kanälen haben. Aber natürlich nicht für das eigene Ego, nur für ‚die‘ übergeordnete Sache. Fasces gab es schon einmal. Ist es nicht seltsam, daß in den weißesten, nordischen Ländern wie Norwegen, Schweden und auch Deutschland mit der höchsten Durchsetzungsrate bei Gleichberechtigung der lauteste Protest geäußert wird? Warum gehen die nicht mal nach Indien, China, Afrika, Südamerika? Sind die Frauen da zu minderwertig für ihren Social-Media-Account? Im Grunde ihrer weißen Haut sind sie rassistisch und träumen von einer weißen Frauen-Rasse, die Macht über andere Frauen ausüben kann. Sie würden es nie zugeben. Wie heuchlerisch.“

Ich griff jetzt nach seinem Ärmel und entfernte ein Härchen. Zog die Hand schnell zurück. Wollte er schon danach greifen? Er stieß beinahe sein Glas um. Hihi. Wie tollpatschig süß.

„Weiße Feministinnen sind ja zu beschäftigt. Sie sitzen im Wehrmachts-Bunker, humorlos, und müssen diesen Krieg gewinnen. Sollte man ihnen sagen, daß ‚jung‘ ein vergängliches Attribut ist? Eher nicht. Es ist so amüsant, sie dabei zu beobachten, wie sie altern. Wie ihre junge, weiße Haut Falten bekommt. Das Lustige ist: Sie wissen es nicht mal. Das macht es ja so komisch.“

Ich strich mir jetzt eine Strähne hinters Ohr. Ich tat es langsam. Ich entblößte etwas meinen Hals. Etwas halb den Nacken. Der Genickbiß wie bei Löwen. Er wollte wohl schon hineinbeißen. Hihihi. Der Unterwürfigkeits-Trick.

„Außerdem betonen sie, man düüürfe Menschen nicht nach dem Aussehen oder ihren Macken beurteilen. Lästern aber über jeden, der ihnen begegnet. Lästern über Bäuche und Geheimratsecken und Schwänze. Und teilen das unvermittelt mit, über alle Medien, die sie von Zuhause mit ihrem Smartphone bedienen können, und sei es nur, daß jemand ein Karo-Shirt trägt. Das fängt dann immer an mit „Menschen, die…“. Und endet immer mit „Wa-rum?!“ Aber wehe, man macht mal einen Witz.“

Ich nahm jetzt die Serviette und tupfte meine Lippen ab. Er war wie ein Spiegel für meine Bewegungen. Wie hübsch. Hihi.

„Und kommen sie nicht mit Argumenten weiter, werfen sie einem etwas vor: Sexist. Und bei Frauen: Sexistinnen. Oder: Bullshit. Oder: Halt's Maul! Gleich die ganze Verleumdungskeule. Oder ein Wort und noch eins dahinter mit ’-Verdacht‘. Das geht immer. Verdacht. Und die Männer, die sich mit ihnen empören, so verständnisvoll für ‚ihre‘ weiße, kolonialistische Sache sind und zu ihnen halten, die halten sich nur in ihrer Nähe auf, weil sie die ins Bett kriegen wollen oder wenigstens davon träumen, daß die ihnen auf ihrem Social-Media-Account folgen. So gründet man eine Colonia Dignidad. Am weißen Wesen wird die Welt genesen. Die sind noch heuchlerischer. Reduzieren sie doch die Feministinnen nur auf ihre weiße Attraktivität. Aber das merken diese auch nicht.“

Und das war es jetzt. Er war so süß. Und so niedlich. So cute und so adrett. Ich reduzierte ihn nur auf seine Attraktivität. Und wollte ihn nur ins Bett. Egal, was er so von sich gab. Hihi. Ich bin wohl emanzipiert. Aber das merkte er nicht.


„Das Lustige ist: Sie wissen es nicht mal. Hihihi. Das macht es ja so komisch.“, sagte ich.








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