Auszug
aus dem Gedächtnisprotokoll
Er war negativ, auf einem dieser Portale im Internet und schrieb die Hälfte seiner
Dinge in Großbuchstaben. Ein Up-Link
war zu dieser Zeit nicht gegeben. Und es würden Stunden vergehen, bis die
Verbindung wieder steht.
Sie war schon bei der Arbeit. Sie brüllte die Kunden
an, hielt aber dabei den Mund geschlossen. Sie würde das später mit einem Log-in nachholen. Dabei würde sie sich
beschweren, über dies und das, Verachtung ausdrücken gegenüber allen, die nicht
ihrer Norm entsprachen, gegen Dicke und besonders gegen die Alten; Leuten, die
Gerüche mit sich brachten.
Er kam schon negativ auf die Welt. Die Geburt geriet
für alle zur Qual. Nicht nur für die Mutter. Er schrie die Ärztin an und machte
klar, daß er nicht einverstanden mit dem Klaps auf den Po und der Welt im
Besonderen war. Seitdem trug er die Mundwinkel unten und als Baby schon die
Zornesfalte.
Sie fuhr mit dem Bus zurück nach Hause. Sie
verschaffte sich Platz auf einem der Sitze und beschimpfte mit den Augen die
anderen Fahrgäste. Dicke, besonders die Alten; Leute, die Gerüche mit sich
brachten. Sie würde sich später öffentlich darüber beschweren.
Er war dreizehn, als er es zum ersten Mal bemerkte,
daß je negativer er war, desto beliebter wurde er. Er würde nie wieder eine
Sekunde an einen positiven Gedanken verschwenden, den er zumal nie hatte.
Trotzdem gab es immer mehr, bei denen er sich unbeliebt machte.
Sie öffnete die Tür und rief wie üblich. Meckernd
über den Tag noch im Hausflur und verschweigend, daß der sich über sie
beschwerte, aber niemand ihn nach seiner Meinung fragte. Provokation war für
sie alleine, daß es schon Menschen gab.
Er kam aus dem Arbeitszimmer entgegen, fluchte, daß
das Internet noch immer nicht klappte
und wollte, wenn es ihn nicht, dann wenigstens sie umarmen. Beide standen
voreinander. Sie stießen sich ab. Es war ihnen unmöglich, sich zu berühren. 15
Zentimeter trennten sie. Wie bei zwei starken Magneten.
Sie richteten ihr gemeinsames Leben darauf ein. So
kam es vor, daß beim Schlafen er sich drehte und sie dadurch aus dem Bett
gestoßen wurde. Man besorgte sich Gitterrohre für die Seitenwände, damit das
nicht weiter geschah. Sie kochte und wollte ihm das Essen mit dem Teller
reichen, er griff danach, sie stießen sich ab, der Teller fiel zu Boden und
zersplitterte. Sie stellten Regeln für die Handreiche auf, damit er die
Scherben nicht vom Boden aufklauben mußte. Sie gewöhnten sich daran, daß sie
sich nicht berühren konnten. Mit der Zeit stieg die Negativzone von 15 auf 30 Zentimeter an. Dann schon auf einen
Meter. Sie brauchten eine größere Wohnung.
Er wollte Cola
in ein Glas schütten. Bevor die Flasche 15 Zentimeter davor war, fiel das Glas
um und die Cola verschüttete sich auf
den Couchtisch. Bei ihr begannen die gleichen Symptome. Sie fingen an, auch
Dinge abzustoßen.
Sie gingen zu einem Arzt. Der sagte, er könne ihnen
nicht helfen. Sie müßten lernen, damit zu leben. „Es gibt Menschen, die sind so
negativ, daß sie alles um sich herum abstoßen.“ 50 € für den Rat.
Sie leben jetzt am Rand der Stadt. In getrennten,
leeren Zimmern. Unter offenem Dach. Nackt. Die Regierung plant, Nahrung aus der
Luft abzuwerfen. Mal sehen, ob es klappt.
Die ersten Versuche verliefen nicht
vielversprechend.
*
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