23.9.:
„Mein fünfzehnter Tag an der Front. Mockturtle, sagte ich. Aber ich
war mir nicht sicher. Augenringe sind wie Titten, sagte der Sanitäter.
Du mußt sie drücken, um an die Milch zu kommen. Der Sanitäter
rieb sich die Brüste. Funktioniert aber nur bei Schwangeren. Mit Reis,
sagte ich. Oder Nudeln. Kartoffeln, sagte der Sanitäter. Du
mußt sie drücken. Damit sich die Soße auf alles verteilt. Kalbshirn ist ja
nicht jedermanns Sache, sagte ich. Und vermißte den Korporal.
Vielleicht. Hörte ich anderen lieber zu, wie sich ihre Sätze abwechselten. Wie
Reis. Nudeln. Oder Kartoffeln. Mockturtle, sagte der Sanitäter.
Während er sich weiter betastete. Ist eine gute Wahl. Um jede
Beförderung zu feiern. Mh, sagte ich. Hmmm... Meine
fünfzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“
24.9.:
„Mein sechzehnter Tag an der Front. Han Su Chek kam. Der sagt
nichts, sagte Meinhard. Sag
es aber nicht weiter. Han Su Chek
war kleiner als Meinhard, und
auch der Sanitäter fühlte sich gleich um zwei Köpfe unwohler. Es gibt
Menschen, flüsterte der Sanitäter. Die machen einem Angst. Weil
sie kleiner sind, sagte Meinhard.
Und schlug sich gleich mit flacher Hand auf die Lippen. Aber Han Su Chek regte sich nicht. Ein
‚Kommando‘, sagte der Korporal. Und für einen Augenblick roch es im
Schützengraben nach Reis, Nudeln und Kartoffeln. Han Su Chek kam erst spät mit den Sternen wieder. Er setzte
sich auf die Waden, so verharrte er für die nächsten Stunden. Niemand traute
sich, auch nur einen Gedanken zu atmen. Und für einen Augenblick roch
es im Schützengraben nach Reis und Nudeln und Kartoffeln... Meine
sechzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“
25.9.: „Mein siebzehnter Tag an der Front. War etwas Besonderes.
Wir alle waren früh aufgestanden und hatten uns fein gemacht. Auch die, die
Wache gehalten haben, reihten sich in die Wäscheleine ein, müde zwar wie
ein nasser Brotteig – so hingen sie mit Wäscheklammerlidern an dem Boden
fest –, aber immerhin Brotteig, mit der Aussicht auf ein warmes
Plätzchen. So wurde es eng an der Wasserausgabe – zwei Bottiche, eiskalt
zwar, aber naß immerhin –, und jeder klapperte dort mit seinem Eßgeschirr
aus Blech, umso lauter, als ob dies den Vorgang der Reinigung beschleunigte.
Mein siebzehnter Tag war etwas Besonderes. Wir putzten uns die Zähne und
rasierten uns gründlicher, und auch unsere Launen glänzten sauberer, der
Ärger blieb den Waschlappen vorbehalten. Sie waren nicht dieser Reihe
wegen gekommen. Dieser Reihe aus sauber aufgereihten frisch gebügelten und
gestärkten Uniformhemden, bestimmt nicht. Der Schützengraben richtete sich
nach kußmundgewienerten Stiefeln aus und nahm Haltung an. Und dann trat – einer nach
dem anderen – vor, dorthin, von wo das Licht kam und das Funkeln kam,
derer, die zurück kamen und wieder einreihten. Dann war Meinhard an der Reihe, dann der Sanitäter, dann kam ich. In
der Hand, etwas vorausgestreckt, wie vereinbart: die erste von drei Münzen im
Werte eines goldenen Talers, die jedem von uns mit der Einberufung
ausgegeben wurden, in die Herztasche des Hemdes hinein genäht, auch gut
gegen Kugeln, die dort treffen sollten. Sagte der Sanitäter. Dann war
ich an der Reihe aus der Reihe. Der Taler wechselte seine Bedürfnisse, vor mir
eine Grazie, und vier Lippen trafen sich zum Müssen. Dann war der nächste
an der Reihe. Zurück, lagen die zwei übrigen Münzen auf meiner Hand. Küßfee. Kiss
meet, sagte sie. Lagen doch die zwei übrigen Wünsche auf der Hand. Meine
siebzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“
26.9.:
„Mein achtzehnter Tag an der Front. Die Nachricht ereilte uns am Morgen. Der
Feind wurde eingekesselt. Deren Vorräte gehen zur Neige, sagte der
Sanitäter. Über dem Krater hing ein Geräusch. Ein riesengroßes
Küchentuch. Als bedeckte es einen Hefeteig. Werde dieses niemals
vergessen. Knurren. Krater. Knurren hing über dem Krater. Am
Morgen. Schon. Stieg auf, und hielt das karierte Küchentuch in der
Schwebe. Besser, sagte der Sanitäter. Man sollte sie
besser erschießen. Meine achtzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich
stehe ich das Liegen durch.“