"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 6. September 2014

Frontberichterstatter


23.9.:    „Mein fünfzehnter Tag an der Front. Mockturtle, sagte ich. Aber ich war mir nicht sicher. Augenringe sind wie Titten, sagte der Sanitäter. Du mußt sie drücken, um an die Milch zu kommen. Der Sanitäter rieb sich die Brüste. Funktioniert aber nur bei Schwangeren. Mit Reis, sagte ich. Oder Nudeln. Kartoffeln, sagte der Sanitäter. Du mußt sie drücken. Damit sich die Soße auf alles verteilt. Kalbshirn ist ja nicht jedermanns Sache, sagte ich. Und vermißte den Korporal. Vielleicht. Hörte ich anderen lieber zu, wie sich ihre Sätze abwechselten. Wie Reis. Nudeln. Oder Kartoffeln. Mockturtle, sagte der Sanitäter. Während er sich weiter betastete. Ist eine gute Wahl. Um jede Beförderung zu feiern. Mh, sagte ich. Hmmm... Meine fünfzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


24.9.:    „Mein sechzehnter Tag an der Front. Han Su Chek kam. Der sagt nichts, sagte Meinhard. Sag es aber nicht weiter. Han Su Chek war kleiner als Meinhard, und auch der Sanitäter fühlte sich gleich um zwei Köpfe unwohler. Es gibt Menschen, flüsterte der Sanitäter. Die machen einem Angst. Weil sie kleiner sind, sagte Meinhard. Und schlug sich gleich mit flacher Hand auf die Lippen. Aber Han Su Chek regte sich nicht. Ein ‚Kommando‘, sagte der Korporal. Und für einen Augenblick roch es im Schützengraben nach Reis, Nudeln und Kartoffeln. Han Su Chek kam erst spät mit den Sternen wieder. Er setzte sich auf die Waden, so verharrte er für die nächsten Stunden. Niemand traute sich, auch nur einen Gedanken zu atmen. Und für einen Augenblick roch es im Schützengraben nach Reis und Nudeln und Kartoffeln... Meine sechzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


25.9.:    „Mein siebzehnter Tag an der Front. War etwas Besonderes. Wir alle waren früh aufgestanden und hatten uns fein gemacht. Auch die, die Wache gehalten haben, reihten sich in die Wäscheleine ein, müde zwar wie ein nasser Brotteig – so hingen sie mit Wäscheklammerlidern an dem Boden fest –, aber immerhin Brotteig, mit der Aussicht auf ein warmes Plätzchen. So wurde es eng an der Wasserausgabe – zwei Bottiche, eiskalt zwar, aber naß immerhin –, und jeder klapperte dort mit seinem Eßgeschirr aus Blech, umso lauter, als ob dies den Vorgang der Reinigung beschleunigte. Mein siebzehnter Tag war etwas Besonderes. Wir putzten uns die Zähne und rasierten uns gründlicher, und auch unsere Launen glänzten sauberer, der Ärger blieb den Waschlappen vorbehalten. Sie waren nicht dieser Reihe wegen gekommen. Dieser Reihe aus sauber aufgereihten frisch gebügelten und gestärkten Uniformhemden, bestimmt nicht. Der Schützengraben richtete sich nach kußmundgewienerten Stiefeln aus und nahm Haltung an. Und dann trat – einer nach dem anderen – vor, dorthin, von wo das Licht kam und das Funkeln kam, derer, die zurück kamen und wieder einreihten. Dann war Meinhard an der Reihe, dann der Sanitäter, dann kam ich. In der Hand, etwas vorausgestreckt, wie vereinbart: die erste von drei Münzen im Werte eines goldenen Talers, die jedem von uns mit der Einberufung ausgegeben wurden, in die Herztasche des Hemdes hinein genäht, auch gut gegen Kugeln, die dort treffen sollten. Sagte der Sanitäter. Dann war ich an der Reihe aus der Reihe. Der Taler wechselte seine Bedürfnisse, vor mir eine Grazie, und vier Lippen trafen sich zum Müssen. Dann war der nächste an der Reihe. Zurück, lagen die zwei übrigen Münzen auf meiner Hand. Küßfee. Kiss meet, sagte sie. Lagen doch die zwei übrigen Wünsche auf der Hand. Meine siebzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“



26.9.:    „Mein achtzehnter Tag an der Front. Die Nachricht ereilte uns am Morgen. Der Feind wurde eingekesselt. Deren Vorräte gehen zur Neige, sagte der Sanitäter. Über dem Krater hing ein Geräusch. Ein riesengroßes Küchentuch. Als bedeckte es einen Hefeteig. Werde dieses niemals vergessen. Knurren. Krater. Knurren hing über dem Krater. Am Morgen. Schon. Stieg auf, und hielt das karierte Küchentuch in der Schwebe. Besser, sagte der Sanitäter. Man sollte sie besser erschießen. Meine achtzehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“







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