"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 28. März 2015

Paarweise abstoßend


„Österreich. Aus Österreich. Österreich ist das Land mit den Bergen. Die träumen noch vom zweiten Anschluß.“

„Die Berge?“


Nun, was gab es über Sebastiane zu berichten?


Nun, Sebastiane hat ein Problem.


„Ich habe ein Problem.“

Hatte sie nicht. Aber Sebastiane war so augenschmeichelnd, daß ich mir all ihre Probleme, die sie nicht hatte, beginnend von ihren Abfahrtsbeinen, ihrer Sanduhrtaille, ihrem Skipaßlächeln ausgiebig ausmalte. Daß ich sie mir gleich après-ski, après vous, dann âpre erst auf den Loipen, dann im Sessellift, dann vor der Hütten, dann so in den Pisten, dann schon auf einer schneeweißen Leinwand vorstellte. Sorgsam mit Malerbogen abgeklebt, der ein Loch im Panorama erlaubte – ohne sich auf den Rand zu konzentrieren –, die mir Bob Ross zur Verfügung stellte, und der mir sogleich seine ganze Palette und seine Spachtel in die Hände drückte – titanium white, tap, just tap – und highlightete – und wie ich sie highlightete –, als gäbe es keinen Kitsch mehr und die Schatten hinzufügte – Prussian blue, just cross – und den mist – create the illusion of distance, with almost no pressure – und dann den ganzen Seekram und – a tree? what the heck – endlich signierte – thinner, Malerbogen ab – und mir nun überlegte, an welche Wand und an welchen Nagel ich die Malerei nun hängen wollte, und mir nun meine Augen rieb, als sie mir mit ihren Zungenworten den blauen Dunst meiner gerade entzündeten Zigarette in diese blies.

„Ich rauche nicht.“

„Ich auch nicht.“

Ich suchte nach einem Aschenbecher – ein anderer Be-cher fiel mir in den Sinn –, fand aber nur den Boden und, nun ja, wozu der Boden gut war.

„Habe gerade aufgehört.“


Sebastiane hatte noch eines.

„Ich habe noch ein Problem.“

Hatte sie nicht.

„Ich habe Freunde. Die werden Dir nicht gefallen.“

Aber Sebastiane war so augenschmeichelnd, daß ich alle ihre Probleme färbte. Und während ich noch so malte und so rührte – mit meinen Spachteln – und nun merkte, daß ich mit einem Löffel in meiner Latte rührte und in dem Milchschaum schon neue Berge ritzte und schon nach dem Bon schielte, der unser Miteinander bezahlte, und die Rechnung in die Kullerkellneraugen signierte, der gelangweilt seine eigenen Panoramen in den Tresen polierte, löffelte ich den Schaum aus dem Becher, schnappte nach Sebastianes Mund, öffnete diesen mit einer Hand, wie man Bälger fütterte, und stopfte Löffel samt Milchschaum samt Berge samt Kitsch samt der ganzen Palette, die mir Bob Ross gönnerhaft schenkte, eben dort hinein.

„Iff hafe noff ein Prrroppleem.“

Hatte sie nicht.

Und während ich schreiend aus dem Café stürmte und während ich fluchte, je im Leben eine Bob Ross-Sendung gesehen zu haben, und während Sebastiane noch an diesem Lattelöffel nuckelte, rannte ich in den nächsten Supermarkt, gleich in den erst besten Haushaltswarengang, riß alle Messer, Gabeln, Löffel aus ihren Packungen, fand endlich, wonach ich suchte, hielt triumphierend einen Korkenzieher in der Faust – ha-hah! –, rammte ihn erst in eines, dann ins andere und zog beide Augen heraus. Plopp-Plopp! Das Schmeicheln sowieso.


Was. Für. Ein. Geiles. Gefühl.







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Sonntag, 22. März 2015

Die Verlorenen





Die Einsamkeit der Verlorenen schüttet Salz in alle Poren. Sie tanzen im Nebel, doch sind alle keine Bewegungen. Sie schneiden sich ihre Haare, in Händen die Tränen der Jahre. Sie verletzen sich und zeigen ihre Wunden vor. Zum Zeigen trauen sie sich heraus. Im Licht betrachtet ist keiner wund zuvor. Im Haus, die Feigen, ins Zimmer eingegossen, wünschen sie sich zertrümmerte Vasen. In manischen wie depressiven Phasen. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Unruhe der Verlorenen hält ihre Welt in Bewegung. Zynisch und verbittert imitieren sie Regung. Brüllen sich in Rage. Halten sich die Ohren zu. Halten Brüllende für eine Plage. Sie wollen gehalten werden, gestützt werden, gespürt werden auf Tausend Meilen Entfernung, doch meiden die Millimeter der Nähe. Sie kaufen nicht ein, sie führen einen Krieg mit dem Draußen. Im Markt sind sie Kopien von Gestalten. Erkennbar an dem Scheitern an der Kasse freundlich zu grüßen. Sie versagen sich. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Stille der Verlorenen etikettiert, sie kokettieren damit, verloren zu sein, sie geben sich Adjektive dazu. Sie sind sie, sie sind bi, sie sind politisch, sie sind grün, sie sind vegan, sie sind so, sie sind quer, sie sind hoch, sie sind mehr, sie sind eckig, sie sind rund, sie sind offen, sie sind verschlossen, sie sind anders, sie sind nicht Du. Sie sind Tausend Richtungsschilder, alle auf sich gerichtet, darauf geschrieben: Fahr‘ woanders hin! Aber komm‘ zu mir. Sie sind sensibel, zu. Und im höchsten Maße unzufrieden. Mit Dir. Sie empören sich über Petitessen, haben die Weisheit gefressen und geben Fehler nicht zu. Sie lassen sich nicht hereinlegen, mit ihren zwanzig Jahren haben sie alles schon mal gesehen, irgendwo stand’s geschrieben. Sie lassen sich leicht beeinflussen, irgendwo wurd’s behauptet. Und jetzt kommst Du! Sie sind ungerecht. Nicht ausgewogen. Nicht zu überzeugen. Vom Himmel gefallen. Sie beklagen sich. Man höre ihnen zu! Wehe, wenn nicht. Dann duschen sie nicht. Dann bestrafen sie sich. Dann lächeln sie nicht. Dann verwehren sie sich. Dann schlafen sie nicht. Dann halten sie sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Verlorenen wollen, daß Du seist wie sie. Nicht, daß Du bist wie Du seist. Und nennen das Vielfalt dreist. Sie erklagen sich andere zu ihrem Ebenbild. Sie klonen sich eine Erträglichkeit. Am Ende gibt es nur noch einen Menschen. Aber macht sie das glücklich? Die Verlorenen schauen sich an. Sie schreien, sie schlucken. Manche erkennen. Vor dem Leben gibt es kein Entrinnen. Dann gibt es eine weniger, dann noch einen. Dann sind sie wieder bei Sinnen, nach der Trauer. Die Einsamkeit der Verlorenen schüttet Salz in alle Poren. Sie tanzen im Nebel, doch sind alle keine Bewegungen. Sie schneiden sich ihre Haare, in Händen die Tränen der Jahre. Sie verletzen sich. Sie versagen sich. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Und schon werden wieder neue geboren. Sie imitieren, sie kopieren, sie kokettieren, sie etikettieren. Und fühlen dabei: Nichts.


Sie klammern sich an die Verlorenen.







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