Stalaktiten
und Stalagmiten wuchsen wie
Fingerweise hinab und empor. Wer den Finger zeigt. Blieb unbenommen.
Stalagnat
kam selten vor. Durchgehend, beide Höhlendecken verbindend.
Wir fuhren taxifahrend vor. Perak Tong. Malaysia.
Buddha
blieb gelassen. Er empfing in sitzender Haltung, golden, geschlossen die Lider.
Besah er die buntbemalte Höhle in den
Innenseiten seiner Lider? Und was, wenn er all die Menschen, die klein vor ihm
standen, durch die geschlossen Augen musterte und mit Schicksal bedachte? Standen
wir klein vor ihm und bedachten unsere Gedanken.
Stalaktiten
und Stalagmiten waren nicht
vorhanden. Nur die ausgehöhlte Kaverne. Wir suchten den Aufgang und stiegen die
steilen Treppen empor. Irgendwo kamen wir nach draußen. Ich bekam Höhenangst. Weitere
Stufen. In einem Pavillon ruhten wir uns aus, Sonnenräder in Form umgedrehter
Swastika luden die Schwüle des Draußen und Stille ein. Unter uns die Ebene.
Kuala
Lumpur.
Menara
Kuala Lumpur, KL
Tower – der Fernsehturm von KL.
Ohne Höhenangst sahen wir auf die Petronas
Twin Towers hinunter. War der höher, so stand der Fernsehturm doch auf
einem Hügel, der den höheren Twin Tower
zum Zwerg machte. Auf den man mitleidig herunterblickte, aber mit seinen Augen
beschickte, für Unterhaltung zu sorgen. Im schnellsten Aufzug der Welt – den schiefen Turm von Pisa bestiegen wir
noch zu Fuß –, beschickte dies ein
gutaufgelegter Amerikaner mit Hut und
unangenehmer Heiterkeit. Ich sprach ihn mit trockenem Humor auf Englisch an,
damit er verstummte. Damals mit Selbstbewußtsein gesegnet, daß mir die Welt
gehörte. Die Amerikaner führten ihre Kriege. Der heitere Amerikaner. War es
wohl nicht gewohnt, daß es noch andere gab, die mit noch mehr Selbstbewußtsein
gesegnet waren, wie die, die Kriege führen. Gewann ich alle meine Siege. Stand
er klein vor mir und bedachte uns mit Gedanken.
Wir handelten mit Taxifahrern. Sie wiesen uns ab. Standen
wir klein vor ihnen und bedachten sie mit Gedanken. Gewann ich alle meine
Niederlagen. War ich mit dem Selbstbewußtsein gesegnet, Menschen mit ihrer
Kleinlichkeit zu vermessen. Doch stets freundlich und höflich, so daß die Größe
noch mehr schrumpfte.
Wir flogen nach Penang
zurück.
Unter uns alles, was wir gesehen haben. Köhler auf
dem Lande, gelber Lamborghini,
Bettler mit offenem Bein. Womöglich auch die Cameron Highlands mit ihren schönen Teeplantagen. Mit der
Weltläufigkeit rotierender Gestirne liefen wir umher und ließen uns die
Teeproduktion zeigen, während eine Gruppe nur pauschal abgefertigt wurde. Standen
sie klein vor uns zweien und bedachten uns mit Gedanken. Unser Taxifahrer aus Penang, mit dem wir vorher einen Preis
ausgehandelt hatten und uns nach Perak
Tong brachte – und noch nie Schnee in
seinem Leben gesehen hatte –, führte uns in Malaysia ein. Ohne Höhenangst blickte ich hinunter.
Im Swimming-Pool
unserer Appartmentanlage hätte ich gerne die Lider Buddhas von innen besehen. Ob
sie so bunt waren, wie die Höhlenmalerei von Perak Tong, die sie nie besahen? Waren
doch die Augen geschlossen. Ich redete lauter als es für Malaysia üblich war. Ein Pärchen blickte zu uns hinüber. War ich
damals borniert und nicht Buddha,
meine Augen aufgesperrt, besah ich nicht die Innenwände in Demut. Stand ich
klein vor ihnen und sie bedachten uns mit Gedanken. Aber war es mir egal. War
ich doch mit dem Selbstbewußtsein gesegnet, Welten zu erobern. Stets freundlich
und höflich und mit einem Lächeln versehen das verpetzte, mehr zu wissen.
Flogen wir zurück nach Deutschland.
Folgten noch viele weitere Reisen. Folgten noch
viele weitere Arten und Weisen, selbstgefällig zu sein. Folgten noch viele
gewonnenen Siege und gewonnene Niederlagen. Menschen, die mich mit Gedanken
bedachten. Und nicht über ihre eigenen nachdachten.
Buddha,
sitzend, in seiner goldenen Haltung, beschaut die Innenseite seiner Lider.
Womöglich lieber, weil alles Bunte nicht so
strahlend ist, wie das noch nicht gesehene, was man sich nur mit geschlossenen
Augen vorstellen kann, und alles in den Schatten stellt, was man schon vorher
ins Licht stellte.
Ich bin ein angenehmer Mensch. Menschen fühlen sich
in meiner Gegenwart wohl – weil ich Ruhe ausstrahle. Heute.
Früher, weil ich Erwünschtes ausstrahlte.
Haben fremde Menschen Erfahrungen mit mir gemacht.
Das müssen nicht immer gute, das müssen nicht immer schlechte gewesen sein.
Ich besehe die Innenseite meiner Lider. Stehen
Menschen vor mir und bedenken mich mit ihren Gedanken.
Was
ist passiert?
Stalaktiten
und Stalagmiten wachsen wie
Fingerweise hinab und empor. Wer den Finger zeigt. Bleibt unbenommen.
Stalagnat
kommt selten vor. Durchgehend, beide Höhlendecken verbindend.
Stalagnat.
Eine Sintersäule, die sich aus Stalaktit und Stalagmit
gebildet hat.
Keine ausgehöhlte Kaverne, keine Höhenangst mehr.
Das ist passiert.
Demut. Ruhe.
Das, was ich wahres
Selbstbewußtsein nenne. Nicht auferlegtes. Nicht welteroberndes.
Friedlich.
Nichts Religiöses. Bin Atheist. Nur das Betrachten
der Innenseite der geschlossenen Lider. Kann man auch mit offenen Augen machen.
Nicht nur Schönes.
Das Leben ist passiert.
Oder Perak
Tong.
*
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