Hylas
und die Nymphen, Zweit-Interpretation
Empfehlenswertes sollte niemals – ich sage: niemals! – Zugang finden. Und es gibt ja viele Zugänge:
Aufgang, Aufrechter-Gang, Abgang, Gang-Mitglied, Untergang, Umgang, Vorgang,
Nachgang, Ganges, partielle Gang-Finsternis, Gag-Gang, Weggang, Gangwahl,
Singsang, Sanggang, Kriechgang, Arschgang, Gangesmitgliedschaft.
Das Schöne an Literatur ist ja, man sieht ihr das
Alter nicht gang.
Was mich gleich zu Johanna Malkovich brachte. Being Johanna
Malkovich – im weiteren Verlauf dieses
Ganges kurz BJM genannt – öffnete
ihre Mundlippen, und daraus faltete sich ihre Zungentreppe wie bei einem
Privatjet die Treppe, wenn sich bei einem Privatjet im Privat-Hangar die Privat-Treppe
öffnet, rot weil mit Teppich beschlagen, und am unteren Ende der Treppe zwei
Leibwächter stehen, links und rechts, in schwarzem Anzug, schwarzer Krawatte,
schwarzer Sonnenbrille und weißer, geknördelter Kordel zum Ohr. Was auch immer
durch die Kordel drang, und warum diese kringelte, und ob die Worte dann wegen
dem Kringeln länger durch die Kordel zum Ohr brauchen, brachte mich durchgewinkt
auf ihre Treppe: Die Zunge ist der Zugang zum Kopf einer Frau, dachte ich, und
spuckte erstmal auf die unterste Stufe.
Pah!, dachte ich. Eine Treppe sollte man immer spuckend betreten. So weiß
man stets, wo der Ausgang ist und wo die unterste Stufe, wie beim Ariadne-Faden
beim Zugang zum Labyrinth von Minos, was bei mir ein Garten ist und bei BJM
Katakomben mit Totenschädeln. Und weiß, wie viel Zeit vergangen ist: Ist die
Spucke noch feucht, dann war man dem Irrsinn noch entronnen. Ist die Spucke getrocknet,
ist dem Irrsinn noch zu entrinnen.
Glücklicherweise war die Lippentreppe keine
Spindeltreppe, sondern gerade, und so stieg ich gerade die Stufen hoch, und war
schon bei den Lippen, und dann schon war ich im Schlund von BJM. Und ich
berichte von nun an Grauenhaftes. Zarte Zungen sollten daher von nun an nicht
folgen. Was sich im Inneren von BJM zutrug ist nur den Hartgesottensten
zuzumuten.
Und sie sollten nun den Abgang zu der Spucke machen,
die sich auf der untersten Stufe glücklicherweise befindet, um zum Ausgang
sicheren Schrittes zu finden. Dort warten zwei Leibwächter, und die begleiten
sie dann in die Obhut des sicheren Hangars. Vielleicht steht in der hinteren
Ecke noch ein Kaffeevollautomat. Dort können sie sich einen Kaffee gönnen und
die nachfolgende Zeit beidhändig an wärmender Tasse verbringen. Sie können die
Pullover-Ärmel über die Handgelenke ziehen und den Kaffeedampf aus der Tasse
pusten, sollte der Kaffee noch etwas zu heiß für nichtabschweifende Gedanken
sein. Sie können sich vorstellen, eine schöne, junge Frau zu sein, und ihr
Blick dringt seitlich des Privatflugzeugs zur Startbahn ein. Sie können sich
auch häßlich vorstellen, mit ungemachten Haaren, letzter Schminke von haßletzter
Nacht und abgeplatzten Fingernagel-Nagellackresten, was von heißen Partynächten
kündet. Im letzten Monat. Und der letzte Monat ist immer das Leben, was sie zu
leben wünschten.
Aber jetzt ist nicht mehr der letzte Monat und die Zeit für
den letzten Monat. Jetzt hängen sie über der dampfenden Tasse Kaffee und
schauen auf ihre abgeplatzten Nagellack-Lebenstage. Ja, sie werden sich diesen
Monat wieder die Mühe machen, diesen Leben hinzuzufügen und schön zu sein.
Aber
sie könnten gleich Strichnin dem Kaffee hinzufügen, was wenigstens Magenkrämpfe
hinzufügte und dann wären sie zumindest leidend schön. Sie könnten einen
Photographen beauftragen, um diesen Moment festzuhalten. Ihre fettigen Haare
sollten auf die gerade aufgehende Sonne treffen. Lassen Sie sich von der Seite
knipsen.
Wer mir nun aber in den Kopf von BJM folgt, und sich
dem Grauen aussetzen möchte, hat eh nichts mehr vom Leben zu erwarten und wird
die Gelegenheit nutzen, vor dem erlösenden Ableben noch Zeuge zu sein, vor dem
nun Folgendem, vor dem ich eindrücklich warne: BJMs Kopf war geräumiger als
erwartet. Etwas unaufgeräumt, wie ich es von belebter Wohnung erwartete und mit
blaßroten Vorhängen ausgeschlagen. Wenn das nicht Grauen erzeugt?
Ein Zugang öffnete sich nach unten, dort war der Gaumen
– ich konnte nicht anders, ich kitzelte
kurz, wie bei einer Box-Bombe –, ein dunkles Loch drang nach oben. Eine
Nasenscheidewand schied in zwei Löcher, die hellen Ausblick zum Hangar gaben.
Dort hindurch sah ich Schlürfende, die in beiden Händen eine Tasse hielten und
Kaffee schlürften. Sie zupften an ihren Ärmelchen, damit diese die halben Hände
bedeckten. Von Zeit zu Zeit blickten sie über den Rand der Tasse. Was Welt! Ihre
Augen erblickten etwas, lebten kurz auf, als sie auf dem Flugfeld wohl einen
Vogel erblickten, und ob das nicht gefährlich für startende und landende
Flugzeuge war, verstarben wieder, als kein Vogel gegen eine Turbine schlug.
Ich wählte den Durchgang nach oben, ins Belebte, und
war nun im Kopf von BJM angelangt. Ja, dachte ich. So hatte ich mir immer die Bat-Cave vorgestellt. Mit all diesen
Spielzeugen und schnittigen Fahrzeugen und Carly-Simon-Musik
dudelnd aus Beolab-Lautsprechern:
„At the age of thirty-seven, you realise,
you’ll never drive through Paris, in a sports car, with the warm wind in your
hair.“
Neben den zum Duo gestellten Bang&Olufsen-Lautsprechern,
die im Doppelpack gut und gerne 26.000 € kosten und die jetzt 99 Cent-Musik
abspielten, gesellten sich folgende, alle in rot, sorgsam geparkte Autos: Ein Porsche 911 2.7 RS, ein Ferrari 812 Superfast, ein Lamborghini Huracan Spyder. Niemand
würde an den Vitra-Plastikstühlen
Anstoß nehmen und auf dem Boden lagen durcheinander Erinnerungen an ein
zukünftiges Leben als Bilder in Wachsmalkreide.
Warum sollte das mich interessieren?, dachte ich schroff. Ich habe meine eigene Bat-Cave. Und eine
Bat-Cave ist nur interessant, wenn man selbst in den Bat-Suit schlüpft.
Aber
BJM erwartete mich schon als Felicia
Hardy. In hautengem, schwarzem Dress und Silberperücke und seilte sich mit
ihrer Peitsche von der Decke ab. Sie vollführte dabei einen Handstandüberschlag
im Hohlkreuz und landete auf allen ihren Vieren fachend. So, so, dachte ich.
Sich das Beste aus den vielen Welten zusammenklauben. Kann ja jeder. Black Cat
ist Marvel und nicht DC Comics. Aber so war wohl BJM. Hätte
mir schon eine Warnung sein sollen, als sie einen Lamborghini neben einen Ferrari
stellte. „Ich bin Felicia Hardy.“, sagte BJM unmißverständlich. „Und niemand
dringt in mich ein.“
„Ich komme auch nicht zu bleiben.“, sagte ich verständlicherweise
und suchte nach meiner Spucke. Schluckte sie aber in der Wahl zweier Vorgänge
lieber herunter.
„Ich sah nur diese Treppe. Und ich habe schon auf die unterste
Stufe gespuckt. Und es ist meine Spucke. Und dann wollte ich nicht auf die
Stufe treten, auf der die Spucke war, und dann war ich schon eine Stufe höher,
und dann war der Boden schon weiter weg. Und dann hätte ich von oben über die
Stufe mit der Spucke springen müssen, weil ich ja nicht in die Spucke treten
will, und dann war ich schon ganz oben, bevor ich es bemerkte, weil ich ja
schauen mußte, ob alle ihre Tassen Kaffee richtig in der Hand halten, und dann
war ich schon drin, und dann sprach schon Black
Cat mit mir, und dann war es schon unhöflich, einfach wieder zu gehen, ohne
Guten Tag zu sagen, und dann weiß ich
auch nicht mehr, wie ich zur Treppe kommen soll, die nach draußen führt, und
dann wollte ich Sie, Frau
Felicia-Black-Cat-Hardy, fragen, wie ich wieder zur Treppe komme.“, sagte
ich einleuchtend. Black Cat machte
irgendwelche Handkantenschläge gegen die Luft vor ihr und tänzelte etwas mit
Trippelschritten auf mich zu. „Hoy-ja. Hui-hui!“, sagte sie etwas auf
Karatisch.
„Karatisch kann ich nicht.“, sagte ich BJM und sie
wechselte im weiteren Verlauf in eine mir bekanntere Sprache: Sie machte einen
Rückwärts-Flic-Flac und landete zielgenau auf ihrem weißen Vitra-Stuhl. Sie wägte ihre Peitsche in der Hand, und ich dachte,
jetzt zieht sie noch ihre silbernen Fellärmelchen über ihre Handgelenke.
„Ich weiß nicht, ob sich alle Frauen so sehen.“,
tolpatschte ich von einem Bein zum anderen, wollte aber auch nicht, daß sie
weiter zürnte. Erinnerte mich an die Trivago-Frau,
daß freundliches Blicken immer etwas bewirkte, zumindest bei all den Frauen,
bei denen man eh keine Chance hatte – warum
also Preise vergleichen? –, und versuchte es mit einer Stornierung der
Buchung. Warum also Blicke vergleichen
wie Preise vergleichen?
„Chnei-chn. Du bleibst chjetzt chierch.“, schnauchte
sie. Und es wird ja nicht so schlimm kommen, dachte ich noch.
Ich schaffte es dann doch noch auf meine geliebte
Treppe, die Spucke war noch nicht gänzlich vertrocknet, und ich wollte wirklich
nicht wissen, wie Frauen sich im Inneren sehen. Die Zungentreppe schnalzte
zurück. Der Privat-Jet-Mund schloß sich schmalzend.
„Ich will nur noch zu meiner Mammi.“, sagte ich zu den
tröstenden Leibwächtern an deren Fuße, und sie brachten mich aufmunternd schulterklopfend-aufbauend
in Sicherheit.
„Ich bin da einfach nur herein geraten, ins Leben.“, gaben
sie meine Worte durch ihre Knopfloch-Mikrophone in die Kordeln weiter durch.
Nickend, glaube ich.
*
(Ode/r an „Warum gab es noch mal diese Menschen?“
„Ach, wie UHU-Klebefäden zwischen Daumen und
Zeigefinger. Das war der Grund. Man kann nicht aufhören, mit ihnen zu spielen.
Und muß jetzt warten, bis sie trocknen. Und dann abknibbeln. UHU gehört
verboten. UHU ist eine Eule. Und warum sollte eine Eule kleben? Gibt es noch
mehr, was ich nicht verstehe?“
„Ach, so. Deshalb gibt es Menschen.“)
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